Weiteres Paar kollidierender schwarzer Löcher mittels Gravitationswellen entdeckt
Wichtige Beiträge von Max-Planck- und Leibniz-Universität-Hannover-Forschenden zu Entdeckung des zweiten Gravitationswellenereignisses in LIGO-Daten
Am 26. Dezember 2015 haben die LIGO-Detektoren eine zweite Gravitationswelle gemessen. Das beobachtete Signal stammt von einem Paar verschmelzender schwarzer Löcher, die mit rund 14 und 8 Sonnenmassen kleiner als die am 14. September 2015 entdeckten sind. Forschende des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik in Potsdam und Hannover und der Leibniz Universität Hannover haben erneut entscheidend zur Entdeckung beigetragen: mit der Entwicklung hochgenauer Wellenmodelle, mit Suchmethodenen für schwache Signale, bei der Beurteilung der statistischen Signifikanz, beim Ermitteln der astrophysikalischen Eigenschaften und mit fortschrittlicher Detektortechnologie. Diese zweite Entdeckung beweist, dass ein neues Zeitalter der Gravitationswellen-Astronomie begonnen hat.
Gravitationswellen sind eine der wichtigsten Vorhersagen aus Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Sie wurden erstmals am 14. September 2015 durch die beiden identischen LIGO-Detektoren direkt nachgewiesen. Die Messung der zweiten Gravitationswelle auf der Erde wurde zur Veröffentlichung in Physical Review Letters angenommen.
Forschende des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; AEI) und der Leibniz Universität Hannover (LUH) haben wichtige Beiträge zu diesem Nachweis geleistet. Sie haben hochgenaue Wellenmodelle für die Signale verschmelzender schwarzer Löcher entwickelt, die auch die Eigendrehung der schwarzen Löcher berücksichtigen. Diese Modelle waren entscheidend um das Signal aufzuspüren und die astrophysikalischen Eigenschaften der Quelle zu bestimmen. AEI- und LUH-Forschende entwickelten und implementierten viele wichtige Elemente der Datenanalyse-Methoden und -Software, stellten die leistungsfähigsten Großcomputer für die Analyse bereit und spielten eine zentrale Rolle beim Beweis, dass das Ereignis echt und kein statistischer Zufall ist. Sie haben außerdem fortschrittliche Detektortechnologie am Gravitationswellendetektor GEO600 bei Hannover entwickelt und getestet.
Die zweite auf der Erde gemessene Gravitationswelle
Das Signal wurde in LIGOs erstem Beobachtungslauf „O1“ am 26. Dezember 2015 um 4:38:54 Uhr MEZ von beiden LIGO-Instrumenten gemessen und in der Folge GW151226 genannt. Die Welle erreichte den Detektor in Livingston 1,1 Millisekunden vor dem in Hanford.
Die zweite Beobachtung GW151226 war deutlich schwächer als die erste GW150914 und war im Rauschen der Detektoren verborgen. Daher war eine sogenannte matched-filter-Suche entscheidend für den Nachweis. Solche Suchen vergleichen (oder filtern) die Daten mit vielen vorab berechneten Signalen (oder templates) um die beste Übereinstimmung (englisch match) zu finden. Diese templates basieren auf den hochpräzisen Wellenformmodellen, die am AEI entwickelt wurden. Sie ermöglichten dem LIGO-Team den Nachweis, dass das Signal von zwei verschmelzenden schwarzen Löchern stammt.
Nach dem Aufspüren enthüllten Folgeanalysen, für die die Hälfte der Rechenleistung vom AEI bereitgestellt wurde, die astrophysikalischen Eigenschaften des Doppelsystems aus schwarzen Löchern. Es besteht aus einem schwarzen Loch mit der 14-fachen Masse unserer Sonne und einem weiteren mit 8 Sonnenmassen. Sie verschmolzen in einer Entfernung von rund 1,4 Milliarden Lichtjahren zur Erde. Die Verschmelzung strahlte das Äquivalent von einer Sonnenmasse in Gravitationswellen-Energie ab und hinterließ ein rotierendes schwarzes Loch mit 21 Sonnenmassen.
Das aus dem Detektorrauschen extrahierte Signal unterscheidet sich deutlich vom ersten gemessenen Signal. Weil die Massen der schwarzen Löcher kleiner sind, wurde das Signal von den Instrumenten über einen längeren Zeitraum (rund 1 Sekunde) gemessen und damit für rund 27 Umrundungen der schwarzen Löcher vor der Verschmelzung. (Beim ersten Signal ließen sich nur rund 5 Umrundungen beobachten.) Während dieser Zeit nahm die Frequenz der Gravitationswellen von 35 Hz auf 430 Hz zu. Die Maximalamplitude der relativen Längenänderung durch das Signal von 3×10-22 ist etwa dreimal schwächer als die des ersten Signals.
Matched-Filter-Analysen und Wellenformmodelle entscheidend für Nachweis des schwachen Signals
Forschende der Abteilung Astrophysikalische und Kosmologische Relativität am AEI in Potsdam spielten eine führende Rolle bei der Gestaltung der Matched-Filter-Analysen, die GW151226 innerhalb einer Minute nach dessen Ankunft auf der Erde aufspürten und im Folgenden dessen statistische Signifikanz zu mehr als 5 Standardabweichungen berechneten. Diese Suchen benutzen Wellenformmodelle, die am AEI in Potsdam und an der University of Maryland entwickelt wurden. Max-Planck-Forschende stellten Folgeuntersuchungen an und nutzen die Modelle, um die astrophysikalischen Eigenschaften von GW151226 zu ermitteln. Sie fanden heraus, dass die einzelnen schwarzen Löcher deutlicher weniger massereich als die von GW150914 waren.
„Es ist fabelhaft, dass unsere Wellenformmodelle dieses schwache aber so unglaublich wertvolle Gravitationswellen-Signal aus dem Rauschen extrahiert haben!“, sagt Alessandra Buonanno, Direktorin am AEI in Potsdam und Professorin an der University of Maryland. „GW1512226 stimmt perfekt mit unseren theoretischen Vorhersagen dafür überein wie zwei schwarze Löcher einander mehrere dutzend Mal umrunden und schließlich miteinander verschmelzen. Bemerkenswerterweise konnten wir außerdem herausfinden, dass mindestens eines der beiden schwarzen Löcher sich dreht!“
Max-Planck-Forschende in der Simulating eXtreme Spacetime Collaboration haben außerdem numerisch-relativistische Simulationen von Verschmelzungen schwarzer Löcher mit Eigenschaften wie denen von GW151226 berechnet. Diese stimmten exzellent mit den Wellenformmodellen, die benutzt wurden um die astrophysikalischen Eigenschaften der Quelle zu ermitteln, über die gesamte Signaldauer überein. Dies bestätigt ebenfalls, dass GW151226 von der Kollision zweier stellarer schwarzer Löcher im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie erzeugt wurde.
Analysemethoden und Rechenleistung
Mitglieder der Abteilung Beobachtungsbasierte Relativität und Kosmologie am AEI Hannover entwickelten und implementierten viele der Algorithmen und Software, die zur Analyse der LIGO-Daten genutzt werden. Diese Methoden kamen beispielsweise zum Einsatz, um die statistische Signifikanz von GW151226 zu berechnen und dessen Eigenschaften zu ermitteln. Etwa 50% der Datenanalyse wurden auf dem Atlas-Supercomputer der Abteilung durchgeführt. Atlas ist der weltweit leistungsfähigste zur Graviationswellen-Datenanalyse konstruierte Computercluster und hat deutlich mehr Rechenleistung als alle andere Systeme der LIGO- und Virgo-Kollaborationen beigetragen.
„Nun müssen auch Skeptiker zugeben, dass unsere erste Messung kein statistischer Zufall war“, sagt Bruce Allen, Geschäftsführender Direktor des AEI und Honorarprofessor an der LUH. „Ich bin absolut zuversichtlich, dass wir in den nächsten paar Jahren Dutzende ähnliche Verschmelzungen schwarzer Löcher beobachten werden und viel über das Universum erfahren werden. Ich bin sehr zufrieden, dass die Datenanalyse-Methoden, die wir in den vergangenen zwanzig Jahren erfunden haben, genau so gut funktionieren wie wir gehofft hatten.“
Fortschrittliche Detektortechnologien von GEO600
Die GEO-Kollaboration besteht aus Forschenden der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz Universität sowie von britischen Institutionen. Sie entwickelten und betreiben den Gravitationswellen-Detektor GEO600 nahe Hannover. Er dient als Ideenschmiede und Prüfstand für fortschrittliche Detektortechnologien. Die meisten der Schlüsseltechnologien, die zur nie zuvor erreichten Empfindlichkeit von Advanced LIGO (aLIGO) beigetragen haben und die ersten Entdeckungen ermöglichten, wurden innerhalb der GEO-Kollaboration entwickelt und getestet. Beispiele sind Signalüberhöhung, resonante Seitenband-Extraktion und monolithische Spiegelaufhängungen. AEI-Forschende haben gemeinsam mit Kollegen des Laser Zentrum Hannover e.V. außerdem die Hochleistungslasersysteme von aLIGO entwickelt und am Detektor installiert. Die Laser sind entscheidend für die hochpräzisen Messungen.
„Mit dieser zweiten Beobachtung sind wir wirklich auf dem Weg zur echten Gravitationswellen-Astronomie. Wir können nun anfangen, eine Vielzahl von Quellen auf der unbekannten dunklen Seite des Universums zu erforschen“, sagt Karsten Danzmann, Direktor am AEI in Hannover und Direktor des Instituts für Gravitationsphysik der LUH. „Nach so vielen Jahren von Forschung, Entwicklung und Vorbereitung ist es sehr befriedigend unsere Vision endlich wahr werden zu sehen.“
Die nächsten Schritte
Der nächste Beobachtungslauf „O2“ von Advanced LIGO wird diesen Herbst beginnen und soll etwa sechs Monate lang dauern. Bis dahin sollen weitere Verbesserungen in der Detektorempfindlichkeit es LIGO erlauben ein 1,5- bis 2-mal so großes Volumen des Universums wie bisher zu erreichen. Der Gravitationswellen-Detektor GEO600 wird ebenfalls an dem Beobachtungslauf teilnehmen. Der Virgo-Detektor wird voraussichtlich in der zweiten Hälfte von O2 dazustoßen.
Hintergrund- und Finanzierungsinformationen
LIGO-Forschung wird innerhalb der LIGO Scientific Collaboration (LSC) durchgeführt, einer Gruppe von mehr als 1000 Forschenden von Universitäten in den USA und in 14 weiteren Ländern. Mehr als 90 Universitäten und Forschungseinrichtungen in der LSC entwickeln Detektor-Technologien und analysieren die Daten; rund 250 Studierende tragen als wichtige Mitglieder zur Kollaboration bei. Das Detektornetzwerk der LSC umfasst die LIGO-Interferometer und den GEO600-Detektor.
Virgo-Forschung wird von der Virgo Collaboration durchgeführt, die aus mehr als 250 Physikern und Ingenieuren aus 19 verschiendenen europäischen Forschungsgruppen besteht: 6 vom Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Frankreich, 8 vom Istituto Nazionale di Fisica Nucleare (INFN) in Italien, 2 in den Niederlanden am Nikhef, das Wigner RCP in Ungarn, die POLGRAW-Gruppe in Polen und das European Gravitational Observatory (EGO), das Labor, das den Virgo-Detektor nahe Pisa in Italien betreibt.
Die US National Science Foundation ist führend in der Finanzierung von Advanced LIGO. Förderorganisationen in Deutschland (Max-Planck-Gesellschaft), Großbritannien (Science and Technology Facilities Council, STFC) und Australien (Australian Research Council) haben entscheidende Beiträge zum Projekt geleistet.
Viele der Schlüsseltechnologien, die Advanced LIGO so viel empfindlicher machten, wurden von der deutsch-britischen GEO Collaboration entwickelt und getestet. Entscheidende Computer-Ressourcen wurden vom Atlas-Cluster am AEI Hannover, dem LIGO Laboratory, der Syracuse University und der University of Wisconsin-Milwaukee zur Verfügung gestellt. Viele Universitäten entwickelten, bauten und testeten entscheidende Komponenten von Advanced LIGO: die Australian National University, die University of Adelaide, die University of Florida, Stanford University, Columbia University of New York und Louisiana State University. Das GEO600-Team umfasst Forschende am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI), an der Leibniz Universität Hannover, zusammen mit Partner an der University of Glasgow, der Cardiff University, der University of Birmingham und anderen Universitäten in Großbritannien, und die Universitat de les Illes Balears in Spanien.