Gravitationswellen von zwei Schwarzen Löchern, die Neutronensterne am Stück verschlucken

Erster sicherer Nachweis dieser seltenen Ereignisse

29. Juni 2021

LIGO-, Virgo- und KAGRA-Forschende stellen zwei neue Gravitationswellenereignisse vor, die sie innerhalb von nur zehn Tagen im Januar 2020 während der zweiten Hälfte des dritten Beobachtungslaufs entdeckten. Das von den LIGO- und Virgo-Detektoren beobachtete Signal ist der erste sichere Nachweis einer Verschmelzung eines Schwarzen Lochs mit einem Neutronenstern. Die Wellen kamen aus Entfernungen von mehr als 900 Millionen Lichtjahren. Die Schwarzen Löcher verschluckten die Neutronensterne am Stück. Auch wenn sich von beiden Ereignissen kein Licht nachweisen ließ, waren die Gravitationswellen klar und deutlich. Sie erlauben den Wissenschaftler:innen erste Rückschlüsse auf die Entstehung dieser seltenen Doppelsysteme und darauf wie oft sie verschmelzen. Die Ergebnisse wurden heute in Astrophysical Journal Letters veröffentlicht. Forschende am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; AEI) in Potsdam und Hannover sowie an der Leibniz Universität Hannover haben zu den Entdeckungen und ihrer Analyse beigetragen.

Zwei besondere Ereignisse innerhalb von zehn Tagen

Die beiden Gravitationswellen-Ereignisse tragen die Spitznamen GW200105 und GW200115 und sie wurden am 5. Januar und 15. Januar 2020 beobachtet. Diese ersten Ergebnisse aus O3b – der zweiten Hälfte des dritten Beobachtungslaufs der LIGO- und Virgo-Detektoren – und ihre astrophysikalische Bedeutung wurden in Astrophysical Journal Letters veröffentlicht.

„Innerhalb von nur zehn Tagen im Januar 2020 haben unsere Detektoren zwei brandneue Signale aufgefangen. Sie stammen von Schwarzen Löchern mit 9 und 6 Sonnenmassen, die mit zwei leichteren Objekten mit 1,9 bzw. 1,5 Sonnenmassen verschmolzen“, sagt Alessandra Buonanno, Direktorin am AEI Potsdam und Professorin an der University of Maryland. „GW200115 ist unser erster sicherer Nachweis der Verschmelzung eines Schwarzen Lochs mit einem Neutronenstern. Diese interessante neue Quelle von Gravitationswellen vervollständigt unsere Sammlung verschmelzender kompakter Objekte.“

GW200105

Einer der LIGO-Detektoren wies das erste der beiden Ereignisse, GW200105, als starkes Signal nach, während der andere vorübergehend nicht im Messbetrieb war. Aus den Gravitationswellen schlossen die Astronom:innen, dass das Signal von einem Schwarzen Loch mit der 9-fachen Masse unserer Sonne stammte, das mit einem kompakten Objekt 1,9-facher Sonnenmasse verschmolz. Sie folgerten, dass es sich beim leichteren Objekt um einen Neutronenstern handelt. Diese Verschmelzung fand etwa 900 Millionen Lichtjahre entfernt statt.

„Obwohl wir ein starkes Signal in nur einem Detektor sehen, schließen wir daraus, dass es echt ist und nicht nur Detektorrauschen. Es besteht alle unsere strengen Qualitätskontrollen und hebt sich von allen Rauschereignissen ab, die wir im dritten Beobachtungslauf sehen“, sagt Harald Pfeiffer, Gruppenleiter in der Abteilung Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie am AEI Potsdam.

Da nur ein Detektor das Signal beobachtete, lässt sich die Richtung zum Ursprung der Wellen nicht sehr genau, sondern nur auf etwa 17% des gesamten Himmels eingrenzen. Das entspricht in etwa der Fläche von 34.000 Vollmonden.

GW200115

Das zweite Ereignis GW200115, das nur 10 Tage später entdeckt wurde, haben alle drei großen Detektoren gesehen: beide LIGO-Instrumente und Virgo. In jedem einzelnen Detektor ist es weniger auffällig als GW200105, doch die gemeinsame Verarbeitung der Messdaten und die zeitlich zusammenfallenden Nachweise machen es zu einem starken Signal. GW200115 stammt von der Verschmelzung eines Schwarzen Lochs mit 6 Sonnenmassen mit einem Neutronenstern mit 1,5-facher Masse unserer Sonne. Die Verschmelzung fand rund 1 Milliarde Lichtjahre von der Erde entfernt statt.

Mit den Beobachtungsdaten der drei weit von einander entfernten irdischen Detektoren lässt sich die Richtung zum Ursprung der Wellen auf einen Teil des Himmels eingrenzen, der der Fläche von 2.900 Vollmonden entspricht.

Schwarzes Loch essen Neutronenstern auf

Mehrere Observatorien führten verschiedene Folgebeobachtungen durch, konnten aber kein Gegenstück der beiden Ereignisse im elektromagnetischen Spektrum aufspüren.

Der Film zeigt die Simulation der Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch (GW200115). Die Masse des Schwarzen Lochs beträgt 6,1 Sonnenmassen, die des Neutronensterns 1,4 Sonnenmassen. Beide Objekte haben keinen Eigendrehimpuls.

Simulation von GW200115: Die Verschmelzung von einem Neutronenstern mit einem Schwarzen Loch

Der Film zeigt die Simulation der Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch (GW200115). Die Masse des Schwarzen Lochs beträgt 6,1 Sonnenmassen, die des Neutronensterns 1,4 Sonnenmassen. Beide Objekte haben keinen Eigendrehimpuls.
https://www.youtube.com/watch?v=Rd3p3xPtWn4

„Die Beobachtung eines elektromagnetischen Signals der Verschmelzung wäre fantastisch gewesen, aber wir haben das nicht unbedingt erwartet“, sagt Frank Ohme, Leiter einer unabhängigen Max-Planck-Forschungsgruppe am AEI Hannover. „Jegliches Licht wäre aufgrund der großen Entfernungen sehr schwach und durch die nur ungenau bekannten Himmelspositionen schwierig aufzuspüren. Wir schließen außerdem aus den Daten, dass die Schwarzen Löcher, die an diesen Verschmelzungen beteiligt sind, ihre Neutronensternpartner einfach am Stück verschluckt haben, so dass gar kein Licht abgestrahlt wurde.“

Allein anhand des Gravitationswellensignals lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich bei den leichteren Objekten tatsächlich um Neutronensterne handelt. Die Fingerabdrücke der zu erwartenden Verformungen der Neutronenstern ließen sich im Signal weder sicher nachweisen, noch konnte ihre Abwesenheit bewiesen werden. „Die Gravitationswellen allein verraten uns zwar nicht die Struktur des leichteren Objekts, aber wir können auf seine maximale Masse schließen. Indem wir diese Informationen mit theoretischen Vorhersagen über die zu erwartenden Massen von Neutronensternen in einem solchen Doppelsystem kombinieren, kommen wir zu dem Schluss, dass ein Neutronenstern die wahrscheinlichste Erklärung ist“, sagt Bhooshan Gadre, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie am AEI Potsdam.

Woher stammen sie?

Da diese Ereignissen die ersten sicheren Beobachtungen der Gravitationswellen von Verschmelzungen Schwarzer Löcher mit Neutronensternen sind, können die Forscher:innen nun abschätzen, wie oft solche Ereignisse im Universum stattfinden. Sie erwarten, dass in Entfernungen von bis zu einer Milliarde Lichtjahren etwa eine solche Verschmelzung pro Monat stattfindet. Nicht alle dieser Ereignisse lassen mit den derzeitigen Detektoren nachweisen.

Während unklar ist, wie genau diese Doppelsysteme entstanden sind, gibt es drei Möglichkeiten, die die Astronom:innen für die wahrscheinlichsten Erklärungen halten. Doppelsterne können sich zu solchen Systemen entwickeln, wenn ihre Komponenten mit der Zeit zu Schwarzen Löchern und Neutronensternen werden. Dichte Sterngesellschaften wie junge Sternhaufen sind ein weiterer wahrscheinlicher Ursprungsort, ebenso wie die Umgebung der Zentren von Galaxien.

AEI-Forschende haben maßgeblich zu den in der Veröffentlichung vorgestellten Analysen beigetragen. Sie haben genaue Wellenformmodelle von verschmelzenden kompakten Objekten wie Schwarzen Löchern und Neutronensternen erstellt, die die Präzession der Spins der Objekte, Multipolmomente jenseits des dominanten Quadrupols sowie die Gezeiteneffekte des Neutronensterns berücksichtigen. Diese physikalischen Merkmale, die der Wellenform aufgeprägt sind, sind entscheidend, um eindeutige Informationen über die Eigenschaften der Quellen zu gewinnen. AEI-Forschende haben sich auch aktiv an den Analysen und der Aufbereitung der Ergebnisse für die Veröffentlichung beteiligt. Die Hochleistungscomputercluster “Minerva” und “Hypatia” am AEI wurden bei der Entwicklung der Wellenformmodelle eingesetzt; sie wurden auch bei der Analyse der beobachteten Signale verwendet.

Wie geht es jetzt weiter?

„Derzeit bereiten wir die Detektoren für ihren vierten Beobachtungslauf vor, der im Sommer 2022 beginnen soll. Sie werden dann noch empfindlicher sein, so dass wir jeden einzelnen Tag Gravitationswellen beobachten könnten“, sagt Karsten Danzmann, Direktor am AEI Hannover und Leiter des Instituts für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover. „In einigen Jahren werden wir weitere Verschmelzungen Schwarzer Löcher mit Neutronensternen beobachtet haben. Daraus werden wir mehr über Materie unter Extrembedingungen, über das Leben der Sterne und die Eigenschaften dieser seltenen Ereignisse lernen.“


LIGO Scientific Collaboration, Virgo Collaboration und KAGRA Collaboration

Dieses Material basiert auf Arbeiten, die vom LIGO Laboratory der National Science Foundation (NSF) unterstützt wurden, einer großen Einrichtung, die von der National Science Foundation finanziert wird. LIGO wird von Caltech und MIT betrieben, die LIGO konzipiert und das Advanced-LIGO-Detektorprojekt geleitet haben. Finanzielle Unterstützung für das Advanced LIGO Projekt kam hauptsächlich von der NSF, aber auch Deutschland (Max-Planck-Gesellschaft), Großbritannien (Science and Technology Facilities Council) und Australien (Australian Research Council-OzGrav) leisteten bedeutende Beiträge zum Projekt. Ungefähr 1.400 Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt beteiligen sich an der Analyse der Daten und der Entwicklung von Detektor-Designs durch die LIGO Scientific Collaboration, zu der auch die GEO Collaboration gehört. Eine Liste weiterer Partner finden Sie unter https://my.ligo.org/census.php.

Die Virgo-Kollaboration besteht aus derzeit rund 650 Mitgliedern aus 119 Instituten in 14 verschiedenen Ländern, darunter Belgien, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien, die Niederlande, Polen und Spanien. Das European Gravitational Observatory (EGO) ist die Dacheinrichtung des Virgo-Detektors nahe Pisa in Italien und wird vom Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Frankreich, dem Istituto Nazionale di Fisica Nucleare (INFN) in Italien und vom Nikhef in den Niederlanden finanziert. Eine Liste der Gruppen der Virgo-Kollaboration finden Sie unter http://public.virgo-gw.eu/the-virgo-collaboration/ . Weitere Informationen finden Sie auf der Virgo-Website unter www.virgo-gw.eu.

KAGRA ist ein Laserinterferometer mit 3 Kilometer Armlänge in Kamioka, Gifu, Japan. Die Dacheinrichtungen sind das Institute of Cosmic Ray Researches (ICRR), die Universität von Tokio, und das Projekt wird von der National Astronomical Observatory in Japan (NAOJ) und der High Energy Accelerator Research Organization (KEK) mitbetreut. KAGRA wurde im Jahr 2019 fertiggestellt und trat dem internationalen Netzwerk der Gravitationswellendetektoren von LIGO und Virgo bei. Die eigentliche Datenaufnahme begann in der letzten Phase von O3b, im Februar 2020. Der wissenschaftliche Kongress von KAGRA besteht aus über 460 Mitgliedern aus 115 Instituten in 14 Ländern/Regionen. Die Liste der Forscher:innen ist verfügbar unter http://gwwiki.icrr.u-tokyo.ac.jp/JGWwiki/KAGRA/KSC/Researchers. Informationen zu KAGRA finden Sie auf der Website https://gwcenter.icrr.u-tokyo.ac.jp/en/.

Zur Redakteursansicht